Reason, das englische Wort für „Vernunft“, ist eine Science-Fiction-Kurzgeschichte des russisch-amerikanischen Autors Isaac Asimov. Es kann aber auch „Grund“ bedeuten. Und das passt in meinem Fall wunderbar. Die Geschichte ist nämlich auf eine Art der Grund für vieles, was in meinem Leben von Bedeutung ist, was ich gern tue und mit dem ich mich viel beschäftige. Daher möchte Euch an dieser Stelle berichten, wie es dazu kam.
Alles fing im Jahr 1996 an. Ich war in der elften Klasse, und der typische Teenagerkram schien für mich noch weit entfernt. Stattdessen bewegte ich mich lieber mit Captain Picard durch ferne Welten. Meine Freizeit verbrachte ich lieber vor dem PC als im Jugendtreff. Ich war das, was man damals abfällig und heute ehrfürchtig als Nerd bezeichnete. Eines Tages bekamen wir von unserem Englischlehrer den Auftrag, ein Medium zu erschaffen. Das konnte eine Zeitung sein, ein Hörspiel oder auch ein kurzer Film. Zusammen mit einigen anderen Gleichgesinnten der Klasse entschied ich mich für letzteres. Damals war wie gesagt Star Trek bei uns ganz angesagt, und so war uns klar, dass es in diese Richtung gehen würde. Unseren anfänglichen Plan, ein Kapitel aus „Der Herr der Ringe“ zu verfilmen, gaben wir aus verständlichen Gründen schnell auf.
Mein Kumpel Martin hatte schließlich die Idee, eine Kurzgeschichte von Isaac Asimov zu verwenden, welche er gerade gelesen hatte: „Reason“. Dabei geht es um einen Roboter auf einer Raumstation in der Zukunft, der plötzlich ein Bewusstsein entwickelt. Da sich das ganze nur mehr oder weniger in einem Raum abspielt, ließ es sich auch für siebzehnjährige Schüler ganz gut realisieren. Als Location wählten wir den Keller von Thomas, der ebenfalls in unserer Filmgruppe war. Dort war ein Hobbyraum, der sich ganz gut eignete. Sogar ein PC war dort aufgebaut, welcher uns noch gute Dienste leisten sollte.
In den Osterferien war es dann soweit, die Dreharbeiten konnten beginnen. Martin hatte zuvor die Kurzgeschichte in ein Drehbuch mit Storyboard adaptiert und auch in die englische Sprache übersetzt. Als wir im Raum angekommen waren, stellten wir fest, dass dieser doch einige Einschränkungen aufwies. Zum Beispiel war da ein Waschbecken, welches keinesfalls zu sehen sein dürfte. Für eine Szene, in der die Protagonisten durch eine Art Fenster in den Weltraum schauen, hatte Martin ein großes Stück Pappe schwarz angemalt und mit weißen „Sternentupfern“ versehen. Dieses klebten dann mittels Tesa-Film einfach an die Wand.
Den kompletten Tag waren wir mit der Aufnahme der einzelnen Szenen beschäftigt, wobei sich vor allem unser Freund Jörg in der Rolle des Roboters QT1 als wahres Schauspieltalent entpuppte. Im Hintergrund spielten wir mittels Kassettenrekorder in Dauerschleife ein surrendes Geräusch ab, welches ein gewisses Raumstation-Flair vermitteln sollte. Ab und zu gab es noch einige Einspielungen von (Film-)Musik, welche ebenfalls „live“ vom Band kam. Man muss dazu wissen, dass alles mit einer einfachen Videokamera gefilmt wurde und auch kein separates Gerät zum Schneiden vorhanden war.
Für den Abspann filmten wir einfach Thomas’ Nadeldrucker, auf dem die Credits gerade ausgedruckt wurden. Die besagte Raumstation wurde zu Beginn des Films kurz eingeblendet, und war nichts anderes als eine Szene aus „Star Trek TNG“, genauso wie die musikalische Untermalung übrigens. Gut, dass Paramount nichts davon mitbekommen hat!
Die Aufnahmen waren am späten Nachmittag beendet und wir bekamen das Ergebnis einige Tage später zu sehen. Jörg, der auch der Besitzer der Kamera war, hatte so gut es ging die Szenen zusammen kopiert, und das Werk wurde im Unterricht präsentiert. Mit dem Film wurde unser Ruf als strebsame Außenseiter nochmals untermauert, unser Lehrer jedoch war begeistert, und wir heimsten alle 15 Punkte ein.
Nach unserem Abitur dachten alle, es wäre nun vorbei. Aber vor allem Jörg und ich waren nun im „Reason“-Fieber und daher kreisten uns schon früh Pläne für eine mögliche Fortsetzung in den Köpfen. Ich wusste auch genau, wie diese Fortsetzung heißen würde: „Reason 2 – QT’s Awakening“! Diesen fiktiven Filmtitel hatte ich bereits zu Schulzeiten fleißig auf alle Bänke gekritzelt, ohne dass es den dazugehörigen Film gab! Ende 1997 machte ich mich dann daran, ein Drehbuch zu schreiben. Die Story musste zum Namen passen, soviel war klar. Also musste der Roboter QT, um den es im ersten Teil gegangen war, deaktiviert worden sein, um dann irgendwie wieder zu „erwachen“. Meine Story handelte also davon, dass QT irgendwann begonnen hatte, verrückt zu spielen und Menschen anzugreifen und daraufhin zwangsweise abgeschaltet wurde.
Ein Mitglied der Crew hat ihn jedoch aus Rachsucht reaktiviert und nun läuft er mordend auf der Station herum. Am Ende gibt es auch noch eine von QT veranlasste Zeitreise nach 1997, wo er endgültig die Weltherrschaft an sich reißen will. Keine Frage, ich war damals großer Fan von „Terminator“ und Konsorten und würde für meinen Plot sicher keinen Philosophiepreis einheimsen! Ich hatte das Ganze jedoch relativ kurz und simpel gehalten, da wir den Film auf meiner Geburtstagsfeier im Februar 1998 realisieren wollten. Relativ spät abends gegen 23:30 Uhr begannen wir dann im Haus meiner Eltern mit dem Dreh, während diese ein Stockwerk höher bereits friedlich schliefen. Leise zu sein war also die Devise, was uns jedoch aufgrund eines gewissen Alkoholpegels nicht immer gelang. Der Film selbst geriet aus mehreren Gründen wesentlich dilettantischer als Teil eins. So haben wir eine Leiche schlicht mit einem Bettlaken, Schuhen und einer Menge Ketchup improvisiert. Und Martin spielte gleich zwei Rollen. Aber zu diesem Zeitpunkt störte mich das wenig, ich froh vielmehr froh, dass meine Idee überhaupt umgesetzt wurde! Gegen 01:30 Uhr war dann alles im Kasten und irgendwie hatte der lustige Dreh doch erheblich zum Gelingen meiner Feier beigetragen. Am darauf folgenden Tag trafen wir uns dann zum Schneiden des Materials. Der Vor- und Abspann wurde dieses Mal direkt vom Computermonitor abgefilmt, hierzu hatte ich eigens Bilder mit Text in der Schriftart von Star Trek TNG entworfen, welche dann als Slideshow abliefen. Im Hintergrund ließen wir Musik aus dem Spiel „Das schwarze Auge: Schicksalsklinge“ laufen, und im Zusammenspiel wirkte das sehr professionell. Gut, dass Attic Software davon nichts mitbekommen hat. Beim Schneiden fiel uns auf, dass Jörgs Kamera immer wieder einmal Aussetzer gehabt hatte. Das Bild wurde teilweise schwarzweiß und stellenweise verschwand es komplett. Insgesamt ist „Reason 2“ somit fast nicht anschaubar, was ich schade finde. Aber dennoch, es sollte weiter gehen!
Jörg und ich waren erneut die treibenden Kräfte, und es dauerte nicht lange, da hatte ich wieder eine Idee. Die Story war nun noch verrückter als die von zweiten Teil: QT hört am Ende des Films, dass der Sprecher ankündigt, es werde keine Fortsetzung geben und will nun alle Beteiligten vom Gegenteil überzeugen, da dies sonst seinen Tod bedeuten würde. Der Arbeitstitel war daher „Reason 3 – The lost script“. Trotz der guten Idee passierte jedoch erst einmal eine Weile lang nichts. Nach Abitur und Zivildienst hatte es uns alle in verschiedene Richtungen verschlagen. Zudem begann ich langsam, über den Nerd-Teller hinaus zu blicken und mich in Diskotheken herumzutreiben. Zwar war „Reason“ aufgrund der neuen Möglichkeiten jetzt auch im Internet vertreten (meine allererste Email-Adresse: reason@t-online.de!) und hatte einen Club nach sich gezogen, dem eine beträchtliche Anzahl von Leuten aus ganz Deutschland und sogar Österreich angehörten, aber Reason 3 lag nach wie vor auf Eis.
Im August 1999 kam jedoch Bewegung in die Sache und ich schrieb ganz spontan ein Drehbuch nach der bereits existierenden Story. Ich schickte es sofort an alle Beteiligten und bekam ein gutes Feedback. Es dauerte jedoch bis nach Weihnachten, bis der Zeitplan von allen jedoch ein gemeinsames Projekt zuließ. Martin hatte sich vorab wieder ein richtiges Storyboard gemacht, ähnlich wie beim ersten Teil. Das ließ mich auf ein gelungeneres Projekt hoffen als bei Reason 2. Es gab dieses Mal mehrere Drehorte, da QT sich jeweils zu Fuß aufmacht, die Macher aufzusuchen und zu überzeugen. Während dieser langen Wanderungen sollte „I’m walking“ von Fats Domino laufen. Wir hatten auch zu Beginn des Films eine aufwendige Kamerafahrt eingebaut, während der unser Kameramann Thomas in einem Wagen über unseren Hof gefahren wird. Am Ende dieser Fahrt sind dann zwei Gummistiefel zu sehen. Diese Szene hatte ich in ähnlicher Form bei „Top Secret!“ gesehen und wollte sie unbedingt einbauen. Am Ende des Films tritt QT dann Jörg gegenüber, der ihn ja verkörpert. Durch dieses Paradoxon bekommt der Roboter einen Kurzschluss und fällt tot um.
Martin digitalisierte die Aufnahmen dann an seinem Rechner, um den Film dann zu schneiden. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen, auch heute noch. Der Vorspann ist mit Musik aus „Braveheart“ unterlegt. Gut, dass Mel Gibson davon nichts mitbekommen hat!
Da QT nun tot war, würde es dieses Mal wirklich keine Fortsetzung geben, oder? Wir machen einen Zeitsprung ins Jahr 2003. Ich war mittlerweile von Thüringen nach Süddeutschland gezogen, und hatte dort viele neue Freunde gefunden. Einer davon war ebenso ein Filmverrückter wie ich. Als ich ihm eines Tages die Trilogie zeigte und von einem möglichen vierten Teil schwadronierte, war er sofort Feuer und Flamme. Ich hatte mir einige Monate zuvor tatsächlich mehr zum Spaß bereits eine Story ausgedacht. Die Handlung sah vor, dass QT, der am Ende von Teil drei tot in Jörgs Flur liegt, von der Polizei und vom FBI untersucht und anschließend in die USA verschifft wird. Dort überdauert er die Jahre und wird am Ende wieder aktiviert – auf der Raumstation aus Reason 1! Somit wäre die Handlung endgültig abgeschlossen und das Paradoxon perfekt. Auch in „Terminator“ und „Der dunkle Turm“ hatte es ja solche „Endlosschleifen“ gegeben. Aus der groben Geschichte strickte ich nun ein Drehbuch und kam am Ende auf acht Seiten. Zum Vergleich: Reason 2 und 3 kommen zusammen nur auf sechs Seiten! Ich schickte es sowohl an die alte Crew als auch an meinen neuen Kumpel. Außer Martin waren alle begeistert, er hatte jedoch keine Lust, wieder mitzumachen.
Und so kam es Anfang 2004 dazu, dass sich eine Delegation von Thüringen nach Ulm aufmachte, um „Reason 4: The past and the future“ zu drehen, so der vollständige Titel des Films. Insgesamt zwei Drehtage wurden dieses Mal benötigt, was ein Novum in der Geschichte des „Franchise“ darstellte. Zudem sind beim vierten Teil so viele Darsteller und Locations wie nie zuvor enthalten. Das Fehlen von Martin kaschierten wir, indem einer meiner neuen Freunde mit einer Perücke und ähnlicher Bekleidung wie dieser ausgestattet wurde und ihn so quasi doubelte. Das verlieh dem Streifen eine zusätzliche Humorquelle, die vor allem für Insider sehr wirkungsvoll ist. Apropos Humor: ich habe mich hier bei allem bedient, was mir selbst Spaß macht, also Monty Python, MAD oder Scary Movie. So ist Reason 4 ein wilder Ritt durch die Popkultur, auf den ich selbst heute nach 17 Jahren noch stolz bin. Für den Soundtrack haben wir einige Stücke verwendet, unter anderem „Mas que nada“. Gut, dass Luiz Henrique Rosa davon nichts mitbekommen hat! 🙂
Ohne die Reason-Filme wäre vieles in meinem Leben sicher anders gekommen. Durch sie wurde mein Interesse geweckt, mich selbst als Filmemacher zu betätigen. Zudem bin ich als Komparse auch mehrfach in großen Produktionen aufgetreten. Und das alles nur, weil wir in der Schule ein Medium machen sollten.
Isaac Asimov kam übrigens später noch zu größerer Berühmtheit, als der Film „I, Robot“ mit Will Smith in die Kinos kam. Er enthält eine ganz ähnliche Geschichte wie „Reason“. Ich kann nun sagen: wir waren früher da, Mr. Smith!
Jetzt bin ich ziemlich neugierig geworden und würde die Filme wirklich gerne mal sehen.
Das freut mich. Jedoch dürfte es aus lizenzrechtlichen Gründen eher schwierig sein, sie zu verbreiten. 🙁