Der Neo Geo Mini Clone, der keiner sein wollte.
So könnte man dieses Review betiteln. Heute geht es um einen neuen China Release namens “Retro Arcade“. Optisch dem Neo Geo Mini sehr ähnlich, hat es inhaltlich ein ganz anderes Ziel und sticht seinen geistigen Mentor in einigen Punkten knallhart aus.
Das Gerät ist in allem möglichen Shops für ca. 80 Euro erhältlich. Viele Informationen konnte ich von Anfang an nicht finden. Ein paar Youtube Videos, die üblicherweise kaum ins Detail gehen, das war es aber schon. Daher wurde es einfach mal Zeit diesem seltsamen Clone auf den Zahn zu fühlen.
Im Paket finden wir das Tabletop selbst, zwei Controller liegen erfreulicherweise direkt dabei, ein AV-Kabel (leider Composite anstatt HDMI) und ein USB Kabel zum Aufladen des internen Akkus. Eine Anleitung darf natürlich auch nicht fehlen. Ja, richtig gelesen. Das Gerät hat einen Akku eingebaut und ist damit vollständig portabel. Dies war beim Konkurrenten von SNK der allergrößte Kritikpunkt.
Nimmt man das Retro Arcade ein wenig genauer unter die Lupe, kann man sofort den etwas größeren Screen erkennen. Mit 4,3 anstatt 3,5 Zoll (NG Mini) hat man deutlich mehr Sichtfläche. Jedoch fällt die seltsame Skalierung auf, die natürlich kein 4:3 ist (Das Ratio, welches üblicherweise bei alten Spielen Verwendung fand). Dazu jedoch später mehr.
Die Qualität des Tabletops ist recht gut und macht keinen billigen Eindruck, ich würde sie sogar “en par” mit dem Neo Geo Mini sehen. Auch der Controller und die Buttons haben ein recht ähnliches Handling/Feeling zum SNK-Pendant.
Auf der Rückseite hat man zwei USB-Anschlüsse für die Controller, den o.g. AV-Anschluß, einen microSD Slot (um eigene Spiele nachzuladen), einen Mini USB-Anschluss (zum Aufladen des Akkus) und den Power-Button.
Auf der Seite kann man noch einen Lautstärkeregler finden. Diese Funktion war beim Neo Geo Mini nur umständlich über das hakelige Menü zu erreichen. Hier kann man mit einem Griff die gewünschte Änderung der Lautstärke vornehmen.
Jetzt wird es dringend Zeit das Retro Arcade einmal einzuschalten. Nach einem kurzen Bootvorgang wird man durch das Hauptmenü begrüßt, welches uns von diversen anderen China Handhelds bereits sehr bekannt vorkommt. Der Bildschirm macht einen sehr guten Eindruck. Das Bild ist scharf und klar. Auch aus diversen Blickrichtungen kippen die Farben niemals und es wird kein Negativbild erzeugt, so wie man es von den extrem billigen Chinahandhelds und Smartphones kennt. Zum Glück hat man bei diesem Tabletop einen hochwertigeren Screen verwendet. Zurück zum Auswahlmenü. Neben einer kleinen Auswahl vom Hersteller ausgewählter “Best Of” Titel, hat man die Menüpunkte “Spiele”, “Musik”, “Bilder”, “Dateimanager” und “Einstellungen”.
Gehen wir zuerst auf die unwichtigen Menüpunkte ein. In “Musik” finden wir drei vorinstallierte MP3 Files bekannter Künstler. Das Tabletop kann also auch als kleine Jukebox verwendet werden und soll angeblich recht viele Formate (auch FLAC) abspielen. Der Sound ist recht gut und ich könnte mir vorstellen das Ganze auf dem Schreibtisch dudeln zu lassen. Habe dies jedoch nicht weiter getestet und überlasse das anderen. Im Bereich “Bilder” liegen ein paar Beispielbilder ab. Man kann das Tabletop wohl für kleine Slideshows verwenden. Auch hier mag ich über Anwendungen nicht weiter spekulieren.
Wenn wir den Menüpunkt “Spiele” wählen kommen wir in ein Untermenü, dessen Punkte “Simulation Games”, “Transplant Games” und “TF Games” heissen. Etwas verwirrt, was man genau meint, wähle ich den ersten Menüpunkt an. Auch hier kommt man wieder in ein Untermenü. Diesmal werden diverse Spieleplattformen angezeigt unter deren ich mir ein Spiel aussuchen kann.
Sofort fällt einem auf, dass kein Neo Geo enthalten ist. Warum das so ist, kann ich nur raten, jedoch hatte ich den Eindruck, dass man nicht in direkte Konkurrenz zu SNK treten wollte. Dies hätte unter Umständen einen sofortigen Abmahnprozess in die Wege geleitet, den man anscheinend so umgehen wollte. Das Tabletop selbst ist nämlich durchaus in der Lage Neo Geo ROMs abzuspielen, wie ich später bemerkt habe.
Unter dem Menüpunkt Arcade finden wir daher ausschliesslich CPS (Capcom Play System) Releases.
Unter den anderen Optionen verstecken sich genau die Spiele, welche man unter dem jeweiligen Menüpunkt erwartet.
Leider sind alle Titel ausschliesslich chinesisch beschriftet. Man kann diese wohl auch nicht umbenennen. Ob dies über Umwege noch möglich ist? Wer weiß. Ich habe mehrere Mini-USB Kabel ausprobiert, konnte das Tabletop jedoch nur aufladen und keinen Zugang zum internen Filesystem erhalten. Schlimm ist es nicht, aber dann doch ein kleines Ratespiel welches Game sich hinter welchen chinesischen Wörtern verbergen könnte. Dennoch bleibt einem die Alternative seine Lieblingsspiele auf einer microSD Karte abzulegen und dann diese zu laden (und das in der Sprache seiner Wahl) 😉
Die von mir getesteten Spiele laufen ganz gut, einige haben jedoch leichte Soundverzerrungen. Es ist nicht grundsätzlich bei allen/vielen Games so, daher gehe ich von Einschränkungen der Emulatoren, nicht von einem Manko des Gerätes aus. Hier ist ein Selbsttest mit den persönlichen Lieblingsspielen anzuraten. Dennoch sollte man es erwähnen, da es mich ab und an störte.
Ein anderes Thema könnte für viele jedoch bereits ein Auschlussskriterium sein, nämlich das Bildverhältnis. Wie oben schon erwähnt ist der Bildschirm nicht in 4:3 und in einigen Emus hat man daher ein leicht gestrecktes Bild. Das ist jetzt nicht so schlimm, dass es unspielbar wird, dennoch ist es nun einmal nicht Original und könnte vielen Gamern negativ auffallen.
Leider kann man dies auch nicht in den emu-eigenen Einstellungen ändern. Grundsätzlich hat man erschreckend wenig Einstellmöglichkeiten. Dabei wäre es ohne weiteres möglich gewesen. Interessanterweise hat man z.B. in Gameboyspielen wiederum die richtige Ratio. Warum der Hersteller das nicht zu Ende gedacht hat, ist fraglich. Möglicherweise wollte er den Widescreen möglichst ausnutzen, wenn man ihn denn schon verbaut hat. Hier muss man dem SNK-Konkurrenten zugute halten, dass man bei der Bildschirmauswahl bessere Entscheidungen getroffen hat.
Als nächstes wollte ich mir die “Transplant Games” anschauen. Auch hier kann man nur vermuten, was genau sich dahinter verbirgt. Nach anfänglicher Verwirrung wurde mir jedoch schnell klar, dass es der Menüpunkt für Dingux-Files ist. Dingux ist eine Linux-Version, welche damals für das Handheld Dingoo verwendet wurde.
Daher war es auch nicht verwunderlich plötzlich Allzeitklassiker wie Hexen oder Wolfenstein vorzufinden. Und soll ich etwas verraten? Die Spiele laufen hervorragend! Da viele Spiele, Ports von anderen Systemen, Emus etc. für Dingux entworfen wurden, kann man anscheinend auch andere Emus (z.B. C64) installieren oder aber auch Spiele wie Doom ohne Probleme zum Laufen bringen.
Damit habe ich nicht wirklich gerechnet und das öffnet Tüftlern Türen zu ganz anderen Dimensionen.
Als nächster Punkt wollte ich die Möglichkeit testen eigene Games abzuspielen. Daher schnappte ich mir eine microSD Karte und füllte sie mit diversen ROMs. Ich wählte den o.g. Menüpunkt “TF Games” und… nichts passierte. Einen Grund konnte ich nicht erkennen. Eine weitere Prüfung der microSD Karte ergab, dass dort eigentlich keine Fehler vorzufinden sind. Also direkt nochmals ausprobiert und… wieder nichts. Etwas ratlos begebe ich mich in den Menüpunkt “Dateimanager” und kann dort meine Files finden… und starten. Es geht ja doch. Nur warum hier?
Eine Lösung für dieses Phänomen konnte ich nicht herausbekommen. Nun gut. Die Spiele liefen jedenfalls soweit ganz gut und interessanterweise konnte ich auch Neo Geo Spiele starten. Zum Beispiel “Neo Turf Masters”. “Bang Bead” oder “Spinmaster”. Großartige Games, welche SNK bei ihrer mittelprächtigen Auswahl einfach mal übergangen hat.
Zum Abschluss möchte ich noch den AV-Anschluß testen. Dieser ist leider nur Composite, also nicht unbedingt die beste Möglichkeit ein Bild auf den heimischen TV zu zaubern. Dennoch hat man so die Option das Tabletop auch an Röhrenfernseher anzuschliessen, was beim Neo Geo Mini ja nicht mehr ganz so leicht ist.
Das Bild an meinem 50″ LCD TV war so lala. Eigentlich wie es über Composite zu erwarten war. Wurde hier weder positiv, noch negativ überrascht. Da das Neo Geo Mini trotz HDMI überraschenderweise auch kein scharfes Bild auf den TV bekommt, habe ich keinen eindeutigen Gewinner.
Da das Review eigentlich schon wieder ausartet, möchte ich so langsam zu einem Fazit kommen.
Eine eindeutige Meinung über das “Retro Arcade” ist nicht zu finden. Sowohl positive, als auch negative Aspekte, bewirken einen gemischten Eindruck.
Dennoch kann man nicht enttäuscht sein. Für nur 80 Euro bekommt man sehr viel für sein Geld und gerade Tüftler werden mit dem Gerät viel mehr Zeit verbringen als mit einem Neo Geo Mini.
Aus dem Grund möchte ich das Review mit einer Auflistung der wichtigsten Punkte beenden. Jeder kann sich somit seinen Eindruck machen und entscheiden, ob er dem kleinen Tabletop aus Fernost eine Chance geben möchte.
Positiv
- Guter Screen, scharf und blickwinkelstabil
- Kräftiger Sound. Vielleicht nicht ganz so klar, wie er mit einem BOSE System sein könnte, aber für den Preis absolut ok
- Qualität des Gehäuses und der Bedienelemente einwandfrei
- Eingebauter Akku
- Lautstärkeregler direkt erreichbar
- Zwei Controller ab Werk im Paket
- Games von vielen verschiedenen Systemen abspielbar
- Durch Dingux viele weitere Anwendungsmöglichkeiten
- Doom, Hexen, Wolfenstein….!!!
- Vieles was SNK auf dem Neo Geo Mini “verpennt” hat (z.B. Akku, physische Lautstärkeregelung, Spiele per microSD, zwei Controller bereits dabei, größerer Bildschirm, Preis (<50%) usw.)
Negativ
- Manchmal Soundverzerrungen in einigen Spielen
- Widescreen-Bildschirm führt zu leicht gestreckten Spielen. Etwas nervig, aber verzeihbar.
- AV-Ausgabe am TV könnte besser/moderner sein
- Menüführung leicht verwirrend, da schlecht übersetzt
- Games auf dem Gerät ab Werk mit chinesischen Namen. Anscheinend nicht änderbar
- Spiele auf der microSD Karte nur über den Dateimanager, jedoch nicht über den dedizierten Menüpunkt erreichbar